Das Spiel mit der Windkraft
In Bezug auf die Energiewende wird während des Wahlkampfes von den Parteien kräftig zurückgerudert. Falsche Signale kommen vor allem vom einstigen Vorreiterbundesland Bayern. Dennoch muss es gerade jetzt gelten, an den ursprünglichen Zielen festzuhalten, denn die Etablierung erneuerbarer Energien ist heute nicht nur so gefährdet, sondern auch so notwendig wie nie zuvor.
Die Situation in Bayern spitzt sich zu: Nach seiner Bundesratsinitiative für größere Abstandsflächen für Windkraftanlagen lässt Ministerpräsident Horst Seehofer Worten Taten folgen und ruft die Behörden bis zum Zeitpunkt der Entscheidung zur Verweigerung jeglicher Neugenehmigungen auf. Ungeachtet dessen, dass er dies ohne rechtmäßige Gesetzesgrundlage tut, zieht das bayerische Staatsoberhaupt damit die Schlinge um die Windenergie ein weiteres Mal enger. Falls sein Vorstoß tatsächlich in die Tat umgesetzt werden sollte, würde das womöglich ihr Ende im größten deutschen Bundesland besiegeln. Es stellt sich die Frage, ob sich Deutschland eine derartige energiepolitische Zäsur überhaupt leisten kann – und in Bezug auf seine Rolle als in Europa führender Strommarkt und der damit einhergehenden Vorbildfunktion – leisten darf.
In wirtschaftlicher Hinsicht ist das Spiel Horst Seehofers äußerst leichtsinnig. Mit ihren mittlerweile technologisch sehr ausgereiften Anlagen ist die Windenergie – neben den Photovoltaik-Anlagen – die bisher wichtigste Säule der Energiewende. Beide zusammen produzieren bereits heute an manchen Tagen genug Energie, um die Hälfte ganz Deutschlands mit Strom versorgen zu können. Ihr Potential reicht jedoch zu weit mehr: Laut einer Studie des Bundesumweltamts kann allein mit Wind das Fünffache des nationalen Gesamtstrombedarfs produziert werden. Auf globaler Ebene hat die Harvard University sogar Potential für eine 40-fach höhere Leistung errechnet, als auf der Erde verbraucht wird.
Gerade vor diesem Hintergrund sollten folgende Zahlen zu denken geben: Obwohl in den vergangenen Jahren Wind- und Sonnenenergie bereits stark ausgebaut wurden, stieg in Deutschland der CO2-Ausstoß im Jahr 2012 um 1,5 Prozent. So tragen auch wir nach wie vor zum weltweit ungebremsten Kohlendioxidanstieg bei. Erst im Mai hat die amerikanische Ozean- und Atmosphärenbehörde (NOAA) eine neue, magische Obergrenze an CO2-Konzentration in der Atmosphäre gemessen.
Einen nicht unerheblichen Beitrag zu dieser Entwicklung leistet der Verfall der Kohlepreise. Dieser liegt vor allem darin begründet, dass der Industrieriese USA mehr und mehr auf selbstgefördertes Schiefergas zurückgreift und somit in den vergangenen Jahren ein weltweites Überangebot provozierte. Vom billigen Einkaufspreis profitiert hat auch Deutschland – was sich etwa daran erkennen lässt, dass in der heimischen Strom- und Wärmeerzeugung in den ersten drei Monaten dieses Jahres 10,5 Prozent mehr Steinkohle verfeuert wurde als noch im Jahr zuvor.
Erschwerend hinzu kommt noch ein zweiter Umstand: Überschuss existiert nicht nur bei der Kohle, sondern auch bei CO2-Zertifikaten. Anstatt wie vorgesehen etwa 50 Euro pro Tonne Kohlendioxid rangiert der Preis tatsächlich im Moment bei nur knapp vier Euro. Aktuell sind in Europa etwa zwei Milliarden mehr CO2-Rechte im Handelssystem, als von der Industrie überhaupt benötigt werden – bereits doppelt so viel wie noch im Jahr 2011. Die vom EU-Parlament beschlossene Reduzierung der Zertifikate um 900 Millionen bis Ende 2016 ist laut Experten lediglich ein Tropfen auf den heißen Stein und wird ihrer Ansicht nach das Problem kaum lösen können.
Ein auch 2013 anhaltender CO2-Anstieg, primär verschuldet durch billige Kohle und noch billigere Verschmutzungsrechte, muss umso mehr die Notwendigkeit von regenerativen, respektive von Windenergie in den Fokus rücken. Ihr Potential für die Energiewende ist, ebenso wie für die Wirtschaft, praktisch nicht hoch genug einzuschätzen. Eine Durchsetzung der Initiative des bayerischen Ministerpräsidenten wäre dagegen ein Schritt zur Abkehr einer, erwiesenermaßen, großen Chance. Gerade in den Wochen des heißen Wahlkampfs wird immer wieder deutlich, dass Horst Seehofer seinen Kurs keineswegs alleine fährt, sondern erneuerbare Energien bisweilen längst wieder länder- und parteiübergreifend in Frage gestellt werden. So sprach sich etwa auch SPD-Chef Gabriel jüngst für die Abschaffung des EEG aus, der FDP-Fraktionsvorsitzende Rainer Brüderle forderte gar einen sofortigen Ausbaustopp für Wind- und Solarenergie. Dabei ist ein schnelles und nachhaltiges Umdenken heute wichtig als niemals zuvor. Die anstehenden Bundestagswahlen werden richtungsweisend sein. Denn die Gefahr ist groß, dass am Ende keine der Parteien – sondern vielmehr die Energiewende als ganz großer Verlierer hervorgeht.
Mehr zum Thema erfahren Sie auch in der Sendung „Experiment Energiewende – Deutschlands einsame Revolution“ am Samstag, 07. September um 12.15 Uhr auf arte (WH am Donnerstag, 19.09. um 08:55 Uhr) oder auch online in der arte mediathek.
Quellen:
BR.de: Kommunalpolitiker verärgert über Seehofer, 03.09.2013
Handelsblatt: Gabriel stellt raschen Ausbau erneuerbarer Energien in Frage, 03.09.2013
FOKUS Online: Brüderle: Ab sofort keine Windräder und Solaranlagen mehr ans Netz, 03.09.2013
profil online: Windkraft: Was die Energiewende wirklich behindert, 02.09.2013
rueckenwind-bayern.de, 03.09.2013
sonnenseite.com: Fell: Seehofer ruft staatliche Verwaltung zum offenen Rechtsbruch auf, 03.09.2013
Der Tagesspiegel: Höchststand bei CO2-Gehalt in der Atmosphäre, 03.09.2013
Bild:
www.wetter.com